Das stille Örtchen – der Rückzugsort zur Regenerierung

Meine Frau ist eine begabte Gastgeberin und begnadete Gerichtezauberin. Dass sich Besuch bei uns wohl und willkommen fühlt, ist vor allen Dingen ihr Verdienst. Ich bin eher nicht der Gastgebertyp. Aber auch ich kann aus Überzeugung sagen, Freunde zu Besuch zu haben, ist etwas sehr Schönes. Es gibt leckeres Essen, vielleicht ein gutes Glas Wein und dazu angeregte, auch mal tiefgründige Gespräche. Das macht auch mir viel Spass, denn mit Freunden hat man Gemeinsamkeiten, man hat sich gern, hat sich im Grunde aneinander gewöhnt, Ecken und Kanten inklusive. Und das ist doch etwas wirklich Schönes.

Besuch bringt – egal, ob von Freunden oder einfach Bekannten – immer auch Anstrengung mit sich. Ich will hier jetzt nicht herumlamentieren. Ich meine nicht irgendwelche Vorbereitungen, das Kochen oder das vorher und nachher Aufräumen etc. Besuch im Haus zu haben bedeutet, dass es etwas lauter, enger und im Sommer auch etwas wärmer im Haus ist. Je näher mir der Besuch steht, desto einfacher ist es für mich. Bei Freunden, die wie Familie für mich sind, bin ich entspannt und kann mich selbst sein. Schwieriger wird es da erst, wenn sich verschiedenste Stressfaktoren kumulieren. Aber egal ob Besuch von engen Freunden oder von Bekannten, wenn ich eine Pause brauche, gibt es oft nur einen Ort für mich, wohin ich mich zurückziehen kann.


Das stille Örtchen. Hier kann ich mich einschliessen, ganz für mich sein und einfach die Ruhe geniessen. Manchmal lese ich auch was oder mache kurze Recherchen zu einem Thema, das mich interessiert. Wie man sich vorstellen kann, hat sich das auch in die Länge gezogen. Natürlich musste ich mir auch schon Sprüche anhören. Ein-, zweimal bin ich auch schon 30 Minuten weg gewesen, habe ich mir jedenfalls so sagen lassen. Für mich hat sich die Zeit nicht so lange angefühlt. Deswegen habe ich vor einiger Zeit angefangen, bewusst auf die Uhr zu schauen und mir eine gewisse Zeit zu überlegen, bis wann ich ungefähr im Bad bleiben kann.

Seit beinahe einem halben Jahr haben wir nun einen Hund. Einen weissen Labradoodle. Da der ab und zu raus muss, nutze ich nun oft diese Gelegenheit, um kurz Pause zu machen. Kurz den Kopf auslüften und den Gedanken nachhängen. Das tut gut und ich kann mich kurz regenerieren. Ich nehme an, dass sich für viele nicht nachvollziehen lässt, wieso ich das brauche. Vor allem, wenn man gute Freunde zu Besuch hat. Ohne diese kleinen Pausen, werde ich schneller müde. Man kann es auch so sehen: Damit ich die Zeit mit guten Freunden voll geniessen kann, dafür auch fit genug bin, muss ich mich kurz zurückziehen.

Das stille Örtchen – der Rückzugsort zur Regenerierung. Das heisst auftanken, um dann wieder voll da sein zu können.

Hast du keine Pfeile im Köcher, so misch dich nicht unter die Schützen – Unbekannt (zumindest mir)

Louis Pasteur, der französische Chemiker, hat einmal gesagt: «Der Zufall begünstigt nur den vorbereiteten Geist». Ich versuche also, stets auf möglichst alles vorbereitet zu sein. Dass man das nicht immer sein kann, versteht sich von selbst. Und doch gehe ich eigentlich nie ohne Pfeile im Köcher aus dem Haus. Das heisst zum Beispiel, dass ich mir Gesprächsthemen zu den verschiedenen Personen in meinem Umfeld überlege.

Da ich im IT-Umfeld arbeite, kommt man mit technischen Themen schon mal ziemlich weit. Filme und Serien sind auch immer willkommener Gesprächsstoff. Mit einigen Arbeitskollegen habe ich spezifischere Themen. Mit dem einen rede ich regelmässig übers Grillen, mit einem anderen über Unterschiede zwischen Deutschland und der Schweiz oder über leibliche Genüsse der beiden Länder. Es fällt mir wesentlich leichter, mit einer Person im Gespräch zu sein – und vor allem zu bleiben – wenn ich mich auf solche Situationen vorbereite. Ich überlege mir dann mögliche Themen, die eventuell in die Situation oder die Umgebung passen und schreibe mir im Kopf einige Stichworte dazu auf.

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Ich gestehe, dass ich auch schon die typischen Smalltalk-Themen angeschnitten habe. Da mich das Wetter oder die Verkehrslage aber definitiv nicht wirklich interessieren, habe ich nach ein, zwei Sätzen dazu aber schon keine Pfeile mehr im Köcher. Die Stille, die dann entstehen kann, ist meinem Gegenüber wohl unangenehmer als mir, denn meistens beginnt diese Person dann unvermittelt ein komplett anderes Thema, nur um die Stille auszufüllen. Man kann definitiv nicht einfach still nebeneinander hergehen?! #IronieOFF

Smalltalk liegt mir nicht so, das habe ich in diesem Blog schon mal beschrieben. Wenn ein Gespräch dann nämlich auf etwas kommt, was mich interessiert, bin ich fast nicht mehr zu bremsen. Oft weiss ich dann vieles dazu zu erzählen, gehe zu sehr ins Detail und überfordere mein Gegenüber beinahe (oder auch nicht beinahe) mit meinem Redeschwall. Ich bin in den meisten Fällen nicht mit einem Mittelding zufrieden, kenne nur ganz oder gar nicht. Das ist dann auch der Grund, warum ich zu Personen, die mich nicht kennen, erst einmal Themenpfeile in den Köcher stecke, zu denen ich nur kurz was sagen muss und dann dem Gegenüber das Reden überlassen kann.

«Hast du keine Pfeile im Köcher, so misch dich nicht unter die Schützen.» Ja, Vorbereitung ist die halbe Miete, aber manchmal muss man einfach auch die Stille mit mir aushalten können.

Der Rest ist Schweigen – Shakespeare – «Hamlet»

Wer mich kennt, der weiss, dass ich eher der Denkertyp bin. Es kommt immer wieder vor, dass ich mich in einer Gruppe nicht zu Wort melde und einfach still dabeistehe oder -sitze. Das kann am Gesprächsthema liegen, das mich vielleicht nicht interessiert oder es ist ein Thema, zu dem ich nichts sagen kann. Öfters aber ist aber eben auch, weil ich in meinen Gedanken ganz woanders bin. Meine Gedanken haben, ohne dass ich etwas dagegen machen könnte, einen hohen Stellenwert für mich. Es kommt mitunter vor, dass ich, komplett in Gedanken versunken, nicht bemerke, dass mich jemand angesprochen hat. Mein Gehör ist nicht auf Empfang gestellt, weil der Kopf mit anderen Aufgaben beschäftigt ist.

Anders ist es, wenn ein Thema angeschnitten wird, das mich interessiert, dann schiessen tausend Gedanken in meinen Kopf und ich komme mit Erzählen gar nicht nach. Nicht selten kommt es dann vor, dass sich die Worte auf meinen Lippen überschlagen und keine vernünftigen Sätze aus meinem Mund herausgelangen. Ich komme dann nicht umhin, mir ganz bewusst vorzunehmen, auch andere zu Wort kommen zu lassen. Schwenkt das Thema in eine andere Richtung, klinke ich mich dann oftmals wieder aus. Vielleicht um das Thema gedanklich zu vertiefen oder weil das Thema andere Gedanken in mir ausgelöst hat.

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Ich habe hier erläutert, dass Smalltalk für mich schwierig ist. Noch gar nicht beschrieben habe ich, dass es natürlich auch schwierig ist, mit mir Smalltalk zu führen. Oftmals gelingt es mir nicht, Interesse vorzutäuschen, weil ich solche oberflächlichen Gespräche einfach nicht mag. Es kommt jedoch auch vor, dass ich mich mitten im Gespräch rausnehme. Dann mache ich das aber nicht bewusst oder gar absichtlich.

Stellen wir uns folgende Situation vor: Jemand erzählt mir etwas über irgendein banales Thema – ich stelle mir dann immer vor, dass der das auch nur macht, weil er die Stille nicht erträgt -, ich bemühe mich, zuzuhören und gebe zwischendurch ein «ah ja», «ok» oder «alles klar» von mir. Plötzlich fällt mir etwas auf, das meine Aufmerksamkeit auf sich zieht. «Mensch, stehen da viele Leute an. Wären wir doch etwas früher rübergekommen, dann müssten wir nicht so lange warten.» Ich bin komplett in Gedanken und habe nicht mal wahrgenommen, dass die andere Person immer noch mit mir spricht. Es ist sogar schon vorgekommen, dass ich der Person einfach davongelaufen bin und es erst im Nachhinein bemerkt habe.

Vor ein paar Jahren bin ich mit einem Bekannten im Restaurant essen gewesen. Die haben da – was ich überhaupt nicht verstehe – die Zweiertische so nahe nebeneinandergestellt, dass es eigentlich ein Vierertisch gewesen ist, an dem wir gesessen und gegessen haben. Mein Bekannter und ich haben uns über irgendein Thema unterhalten und weil vieles in meinem Umfeld gleich laut ist, nehme ich eben auch wahr, was am Nebentisch passiert. Das kann auch mal unterbewusst aufgenommen und abgelegt werden. In der Situation habe ich den abgelegten Gedanken aber wieder aufgenommen und mich mit meinem Bekannten über genau das Thema unterhalten wollen, welches die Zwei am Nebentisch Sekunden zuvor vertieft hatten. Wie mir der Bekannte später erzählt hat, wollte er mir unauffällig zu verstehen geben, dass wir das Thema wechseln sollten. Leider habe ich das nicht verstanden und mein Gegenüber musste beschämt darauf warten, bis ich alles gesagt hatte, was ich zu dem Thema wusste.

Was ist da passiert? Ich bin im Gespräch mit meinem Gegenüber gewesen und habe – vermutlich unterbewusst – aufgenommen, was am Nebentisch besprochen wurde. Blitzschnell standen in meinen Gedanken zig Fakten zu diesem Thema abrufbereit, die ich loswerden und meinem Bekannten unterbreiten wollte. Dass die Leute am Nebentisch, sich vor Sekunden genau über dieses Thema unterhalten haben, habe ich in dieser Situation nicht bewusst wahrgenommen oder bereits vergessen.

Hier wäre es besser gewesen, wenn ich die Gedanken, die ausgelöst wurden, für mich behalten hätte. Leider habe ich das nicht gekonnt, weil mich das Thema zu sehr interessiert hat.

Es gibt immer wieder Situationen, die stürzen mich in die tiefsten Gedanken. Einiges davon teile ich dann mit, auch wenn ich vielleicht verschiedenste Gedankensprünge gemacht habe. Aber der Rest ist Schweigen.

Smalltalk? Darf ich Ihnen das Tschüss anbieten?

«Hallo, schönes Wetter heute.» «Ja, schön, dass die Sonne heute wieder rauskommt.» – «Na, hast du den FC gesehen gestern? Die haben ja echt klasse gespielt.» «Ja, nur Vainazas hat wieder etwas übertrieben.» Solche und ähnliche Gespräche finden tagtäglich immer wieder statt. Die Rede ist vom Smalltalk. Der Smalltalk überbrückt immer wieder sogenannte peinliche Situationen. Er findet im Aufzug statt, beim Essen holen, zur Begrüssung, beim Warten auf einen Termin usw. Viele Menschen, um nicht zu sagen die meisten Menschen, können mit Ruhe gar nicht mehr umgehen. Was heute fast keiner mehr weiss: Es muss nicht immer gesprochen werden, man kann auch mal einfach still nebeneinander hergehen. Die Gesellschaft lehrt uns jedoch etwas anderes. Smalltalk wird sogar als wichtig angesehen, gerade auch im beruflichen Umfeld.

Ich bin da eher nicht so begabt. Entweder interessieren mich die Smalltalk-Themen nicht oder ich weiss schon gar nicht, welches Thema ich anschneiden soll. Der Sinn eines Gespräches, das beide Gesprächspartner eigentlich nicht wirklich interessiert, erschliesst sich mir nicht. Wieso ein Gespräch führen, dass uns die Situation aufgezwungen hat? Zudem werden in solchen Situationen häufig Fragen gestellt, die absolut keinen Sinn ergeben. Eine Frage z.B. wird immer wieder gestellt: «Ah, du bist auch hier?» Solche sinnfreien Fragen verdienen eigentlich keine ernsthafte Beantwortung. Ich würde am liebsten antworten: «Nein, ich hab’s leider nicht geschafft. Was du hier vor dir siehst ist nur ein Hologramm, dass ich projiziere, um den Anschein zu erwecken, dass ich auch hier bin.» Dasselbe zu Terminen an bis dahin noch nicht bekannten Orten: «Ah, haben Sie’s gefunden?» – «Nein, ich bin noch auf der Suche. Dass Sie mich hier vor sich sehen, ist nur eine Illusion, die Ihnen Ihre Wunschvorstellung als scheinbare Wahrnehmung vorgaukelt.»

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Verwickelt in einen Smalltalk, fällt es mir – infolge mangelndem Interesse – oftmals schwer die Aufmerksamkeit aufrechtzuhalten. Sticht mir etwas ins Auge oder kommt mir etwas in den Sinn, kann es vorkommen, dass ich mich in der Situation ausklinke und in Gedanken verliere. Dabei bin ich mir nicht einmal mehr bewusst, dass jemand versucht hat, mit mir zu sprechen. Das Interesse am Thema ist wohl der Hauptgrund, weswegen ich mich nicht für Smalltalk erwärmen kann. Ich habe kein Interesse an oberflächlichen Themen. Interessiert mich jedoch das Thema, kann ich mich auch nicht auf Smalltalk einlassen. Ich will dann zu sehr in die Tiefe, weiss zu viel, sage zu viel, höre zu wenig zu.

Schwierig ist es auch, wenn ich mich gerade mit einem uninteressanten Smalltalk abmühe und dann jemand in meinem Blickfeld auftaucht, mit dem ich viel interessantere Themen wüsste, vielleicht sogar gemeinsame Interessen mit ihm pflege. Dann werde ich nervös und will das uninteressante Gespräch möglichst zeitnah hinter mich bringen.

Wie oben beschrieben, kommen mir in Smalltalk-Situationen oft keine Themen in den Sinn. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als mich auf Smalltalk vorzubereiten. Ich versuche herauszufinden, welche Themen mögliche Smalltalk-Partner interessieren und lese mich ein wenig (oder auch etwas mehr) ins Thema ein. Für Fussballbegeisterte habe ich eine Fussball-App, für Eishockey eine Eishockey-App usw. Es versteht sich von selbst, dass das nur bei Personen funktioniert, von denen ich die Interessen kenne.

Smalltalk? Darf ich Ihnen das Tschüss anbieten? Ja, mittlerweile gehe ich relativ locker damit um. Und bis zum nächsten Smalltalk gehe ich nochmals auf Internetrecherche.

Mein lieber Herr Gesangsverein, seien Sie mal nicht so negativ!

Gewillt die Unterschiede zwischen Aspies und neurotypischen Menschen aufzuzählen, verfallen die Aufzählenden auffallend häufig ins immer gleiche Schema: Negation statt Affirmation. Infolgedessen sind die Zuhörer – verständlicherweise – versucht, den Asperger als Störung, als Behinderung aufzufassen. Das sei Ferne! Natürlich behindert mich mein Asperger in meinem Leben, aber das tun langsam gehende Menschen auf dem Bahnsteig auch.

Ich will ja gar nicht schönreden oder verniedlichen, dass ich in meinem Alltag immer wieder mit Situationen zu kämpfen habe. Wie schnell führen schon Kleinigkeiten zu einem Overload. Ohne Rückzugsmöglichkeiten ist der Meltdown oder gar der Shutdown schon vorprogrammiert. Aber was will ich mich von solchen Situationen runterziehen lassen?! An Tagen, an denen ich schon unsicher, hypersensibel und dünnhäutig in den Tag starte, habe ich dem Kampf meistens schon beinahe verloren. Wieso dann noch negativ sein? Da ich mich nicht verbiegen kann, muss ich versuchen, mit dem klarzukommen, was ich bin.

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Es ist doch so: Ich bin, wer ich bin. Als Aspie verbringe ich sehr viel Zeit damit, mich anzupassen. Seit meiner Diagnose habe ich mich immer besser kennengelernt. Ich weiss heute besser, worauf ich wie reagiere. Ich erkenne viele Situationen schon bevor sie eintreffen und halte dann dagegen. Ich ziehe meine Sonnenbrille an, bevor mir die Sonne fast die Netzhaut abbrennt. Ich setze meine Kopfhörer auf bevor mir die vielen Stimmen um mich herum den Schädel platzen lassen. Grossen Menschenansammlungen gehe ich wenn immer möglich aus dem Weg. Es ist mir egal, wenn auffällt, dass ich anders bin. Menschen reden übereinander, das kann man nicht beeinflussen. Es sei hier festgehalten: Man kann es sowieso nie allen recht machen.

Heute bin ich eigentlich auch stolz darauf, zur Familie der Aspies zu gehören. Wir haben Schwächen, das haben neurotypische Menschen aber auch. Wir haben jedoch auch Stärken, wir können uns zum Beispiel optimal auf bestimmte Dinge fokussieren. In Themen, die uns interessieren, verbeissen wir uns richtiggehend. Wer einen Aspie richtig kennenlernt, lernt bald auch die positiven Seiten des Aspergers hinter den Kulissen kennen. Heute ist Welt-Autismustag. Wenn du noch nicht viel über Asperger oder Autismus allgemein weisst, nutze doch die Gelegenheit und lerne uns besser kennen. Mache doch auch einen Schritt auf uns zu.

Mein lieber Herr Gesangsverein, seien Sie mal nicht so negativ! Asperger sind nicht behindert und nicht gestört, wir sind einfach nur anders.

Alle Menschen streben von Natur aus nach Wissen – Aristoteles

Es kann passieren, dass es mich überkommt und dann spreche ich offen über meine Diagnose. Ich bin es manchmal einfach leid, damit hinterm Berg zu halten, was ich bin und wer ich bin. Nach ein paar ausgetauschten Sätzen bereue ich dann aber öfters, dass ich mich nicht zurückhalten konnte. Wer sich noch nie mit Asperger oder allgemein mit Autismus auseinandergesetzt hat, denkt häufig erst einmal an Rain Man. «Aber du bist doch gar nicht so» ist dann der Tenor oder «bei dir hätte ich jetzt aber nie was gemerkt». Ja, ich bin kein Savant wie Rain Man. Und nein, ein flüchtiger Blick reicht mir nicht, um Zahnstocher am Boden zu zählen.

Dafür bin ich mit einer Schauspielgabe gebenedeit. Damit will ich nicht den Eindruck erwecken, ich wäre der geborene Hamlet für die grosse Bühne. Ich kann mich einfach gut verstellen. Ich habe schliesslich schon mein ganzes Leben Erfahrung damit. Und obgleich ich gerne eine Inselbegabung wie Savants hätte, ich kann leider nicht damit dienen. Es gibt nicht dieses eine grosse Thema, das mich vor allen anderen Dingen interessiert. Mich interessiert einfach zu viel. Lese ich ein Buch, habe ich mir dabei ein Dutzend weitere Bücher notiert, die ich auch lesen möchte.

Ich kann keinen Film schauen, ohne nicht mindestens fünf-, sechsmal die Pause-Taste gedrückt zu haben, um mir nähere Infos zu den Schauspielern, der Filmmusik oder sonst etwas beschafft zu haben.

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Ich schliesse wahnsinnig gerne Wissenslücken, kenne dabei aber fast keine Grenzen und kann mich mühelos in beliebig vielen Themengebieten verlieren. Derweil stellt Goethes Margarete auch mir die berühmte Gretchenfrage: Verzettelst du dich denn nicht bei all den Themen, die dich interessieren? Und noch während sich hier Fachwissen und Wissensdurst zuwiderlaufen, wechsle ich schon zum nächsten Interessengebiet.

Gesetzt den Fall, ich muss mich wirklich – und damit meine ich unausweichlich – eingehend mit einem bestimmten Thema beschäftigen, bleibt mir nichts anderes, als mich richtiggehend zu zwingen, keine Ablenkung durch Recherche zu einem weiteren Thema zuzulassen. Das ist beileibe nicht einfach und erfordert höchste Konzentration.

Alle Menschen streben von Natur aus nach Wissen. Ich auch. Denn ich bin ja auch nur ein Mensch.

Natürlich spreche ich mit mir selbst – manchmal brauche ich eben kompetente Beratung

Es sei vorausgeschickt, dass ich nicht immer alles so ernst meine, wie es den Eindruck machen könnte. Es ist immer auch eine Portion Selbstironie dabei. Meine Frau würde wohl das eine oder andere Emoji setzen. Aber das ist nicht so meine Art. 😒

Als Aspie kommt man nicht umhin, sich zu fragen, welche Eigenschaften (oder Eigenarten) man auch ohne Asperger-Syndrom hätte. Was an mir wäre ebenfalls so, wenn ich kein Asperger hätte? Meine Meinung dazu: Es spielt keine Rolle. Ich habe nämlich keine Vergleichswerte. Es gibt für mich kein Leben ohne Asperger. Da das Asperger-Syndrom nicht etwas ist, was man heilen und «entfernen» kann, gehört alles, was es beinhaltet, genauso zu mir. Es gibt meines Erachtens keine Linie bei der der Aspie aufhört und die «normale» Persönlichkeit beginnt.

In diesem Blog schreibe ich über Erlebnisse, Gedanken und Meinungen. Weil ich Asperger habe, sind es die Erlebnisse, Gedanken und Meinungen eines Aspies. Das heisst aber nicht, dass sich nicht auch neurotypische Menschen in einigem wiederfinden können.

Ich präsentiere mich nicht im Lichtkleid auf dem Marktplatz, wenn ich verrate, dass ich des Öfteren Selbstgespräche führe. Denn Selbstgespräche kennen wohl die meisten Menschen. Diese Selbstgespräche können bei mir unterschiedlicher Natur sein. Manchmal sage ich einfach laut auf, was ich gerade lese oder schreibe, um mich zu konzentrieren, meinen Fokus auf das zu setzen, woran ich gerade arbeite. Ich weiss, dass ich damit nicht allein bin und diese Art von Selbstgesprächen von vielen geführt wird.

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Nun ist es aber auch so, dass ich mich gerne auch selbst unterhalte. Mal rede ich mir beruhigend zu, ein anderes Mal frage ich mich selbst nach meiner Meinung. Oscar Wilde hat einmal gesagt: Ich bin gern der einzige, der redet – das spart Zeit und vermeidet Streitereien. Diese Art von Selbstgesprächen führe ich je nach Begebenheit laut (jedenfalls hörbar) oder auch nur in Gedanken. Manchmal führe ich in Gedanken ganze Gesprächsabläufe, wäge Pros und Contras ab. In solchen Situationen bin ich dann mitunter derart mit mir selbst beschäftigt, dass mich nur eine Einwirkung von aussen unterbrechen kann. Das zeigt sich dergestalt, dass ich halbstunden- oder gar stundenlang schweigend dasitze und keinen Ton von mir gebe. Meine Frau beschreibt das als nur physisch anwesend, aber in Gedanken weit weg sein, wie vom Ballon in die Welt hinausgetragen.

Natürlich spreche ich mit mir selbst – Selbstgespräch ist für mich auch Reflexion und ein Sortieren und Bündeln meiner Gedanken.

«Sei einfach wie du bist. Irgendwann kommt es doch sowieso raus!» – Anonym

Ursprünglich war dieser Blog als komplett anonymer Blog gedacht. Einerseits wollte ich beim Schreiben keine bestimmten Leser im Kopf haben, andererseits wollte ich meine Diagnose nicht allzu weit streuen. Unterdessen gibt es jedoch Freunde, Bekannte oder Verwandte, die von meinem Blog wissen. Ich bin also nicht mehr ganz so konsequent, wie ich das zu Beginn eigentlich sein wollte. Wieso jetzt diese Ausnahmen? Ich möchte auch weiterhin möglichst anonym bleiben und mich hier nicht mit Foto, Namen und sonstigen Angaben präsentieren. Meine Überlegung war aber, dass diejenigen, die sowieso von meiner Diagnose wissen, ruhig auch meinen Blog lesen können. Das eine oder andere Aha-Erlebnis in diesen Beiträgen kann ja auch dazu führen, mich und mein Asperger ein wenig besser zu verstehen. Wieso also nicht einfach meinen Namen daruntersetzen und den Blog in meinem Umfeld publik machen? Schäme ich mich für meine Diagnose? Kann ich nicht dazustehen?

Nun, ich selbst weiss bald vier Jahre von meinem Asperger. Aber auch wenn ich vorher nicht davon wusste, so war ich trotzdem davon betroffen. Als Aspie wird man geboren. Bis vor vier Jahren wusste niemand davon, weil ich die Diagnose selbst noch nicht hatte. Was ist jetzt nach der Diagnose anders? Ich bin noch derselbe Mensch wie vorher. Für mich war die Diagnose ohne Frage eine Erleichterung. Nun kann ich benennen, was an mir anders ist. Mehr und mehr ist es eine Legitimation mich selbst sein zu dürfen. Aber müssen das auch andere benennen können? Muss jeder wissen, dass ich so bin, wie ich bin, weil ich Aspie bin? Für meine Geschwister zum Beispiel oder auch meine Eltern hat die Diagnose eigentlich keine Bedeutung. Sie kennen mich so wie ich bin, sie kennen keine andere Version von mir. Ich bin einfach ihr Bruder, ihr Sohn.569881099342Ich habe die Erfahrung gemacht, dass einige mit den Schlagwörtern «Asperger» oder «Autismus» nicht umgehen können. Viele davon denken sofort an Savant wie Rain Man. «Aber du bist doch gar nicht so» heisst es dann etwa. Wieder andere sehen vielleicht nur eine „Behinderung“. Ihnen ist der Begriff eine willkommene Möglichkeit, alles Negative stark zu gewichten und das Positive nicht mehr sehen zu wollen. Freie Bahn leichtes Opfer zu sein und für Launen von anderen herhalten zu müssen. Je nach Ausprägung und Training kann das Asperger-Syndrom recht lange unerkannt bleiben und dann spielt sich das meiste im Innenleben ab. Ich merke bei mir einfach, je älter ich werde, je «komplizierter» oder «aufwändiger» mein Leben wird, desto weniger kann ich mich verstellen resp. mich anpassen. Ich bin verheiratet und Vater von vier Kindern. Ich habe nicht mehr dieselben Möglichkeiten, mich aus dem Geschehen rauszunehmen und mich wieder zu regenerieren wie früher. Reizüberflutungen machen mich heute viel schneller müde als früher. Von daher drängt der Asperger immer mehr an die Oberfläche.

Indem ich momentan noch weitgehend anonym bleibe, verhindere ich vorschnell abgestempelt zu werden. Viele Menschen – mich eingeschlossen – denken in Schubladen. Diese Schubladen füllen wir mit allen möglichen Vorurteilen und Meinungen. In die Schublade «Asperger» füllen momentan noch viele Menschen negative Assoziationen. Das wird sich hoffentlich ändern. Denn eigentlich möchte ich offen mit dem Thema umgehen, aufräumen mit den Vorurteilen und die Leute auch von den Vorzügen, die Asperger mitbringen erzählen.

«Sei einfach wie du bist. Irgendwann kommt es doch sowieso raus!» Ja, das glaube ich auch und wenn es dann soweit ist, will ich vorbereitet sein.

«Welch ein Glanz in meiner Hütte!»

Dieser höfliche Ausspruch wird verwendet, wenn unerwarteter Besuch kommt. Wie ich hier schon mal erwähnt habe, plane ich möglichst im Voraus. Es versteht sich von selbst, dass das nicht immer möglich ist. Hinzu kommt, dass ich zwar planen kann, dann aber auch alles ganz anders kommen kann. Wenn ich an einem Samstag zum Beispiel einen Gartentag eingeplant habe, möchte ich das dann möglichst auch so durchführen. Jetzt kann es immer wieder mal vorkommen, dass spontan jemand bei uns vorbeikommt und uns unangekündigt besuchen will. Während meine gastfreundliche Frau sich freut, den Gästen Kaffee und Kuchen serviert, bin ich erst einmal blockiert, weil ich eigentlich einen Gartentag eingeplant habe und vor allem die offenen Punkte meiner Liste sehe, die ich an diesem Tag eigentlich hätte tun müssen.

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Das fällt natürlich auf, schon nur, weil ich sowieso nicht der überschwängliche Typ bin, der anderen um den Hals fällt, die zu Besuch kommen. Das will heissen, dass ich mich noch emotionsloser als sonst gebe. Wer mich kennt, hat vermutlich kein Problem damit, weil klar ist, dass das keine Ablehnung ist. In dieser Situation fällt es mir nur sehr schwer, mich von meinem Plan zu lösen und mich zu den Gästen zu setzen. Habe ich mich aber gelöst und mit der Situation abgefunden, beruhige ich mich normalerweise relativ schnell. Wenn es aber zum Beispiel ein paar Wochenenden hintereinander schon nicht geklappt hat und dann ausgerechnet an dem einen Samstag jemand vorbeikommt, an dem ich Zeit gehabt hätte, das Wetter gestimmt hat und auch sonst alles gepasst hätte, wird es schwierig für mich. Normalerweise ziehe ich mein Ding dann einfach durch, weil für mich die Vorstellung, diesen Tag einfach auch noch verstreichen zu lassen, unerträglich ist.

Für die meisten neurotypischen Menschen ist diese «Unbeweglichkeit» wohl nicht nachvollziehbar und einfach nur unhöflich. Mir ist hier aber wichtig zu betonen, dass eine solche Reaktion meinerseits nie gegen die Personen gerichtet ist. Vielmehr ist es ein Unvermögen, eine Not, die innere Spannung, die dadurch entstanden ist, zu überwinden.

Für die meisten neurotypischen Menschen ist diese «Unbeweglichkeit» wohl nicht nachvollziehbar und einfach nur unhöflich. Mir ist hier aber wichtig zu betonen, dass eine solche Reaktion meinerseits nie gegen die Personen gerichtet ist. Vielmehr ist es ein Unvermögen, eine Not, die innere Spannung, die dadurch entstanden ist, zu überwinden.

Welch ein Glanz in meiner Hütte! Dieser ironisch gemeinte Satz könnte von mir sein. Damit würde ich auch vermitteln wollen, dass noch nicht alles getan ist und noch viel erledigt werden müsste. In diesem Sinne, bleiben Sie locker, wenn Sie sich das nächste Mal in einer solchen Situation von jemandem unhöflich behandelt fühlen. Vielleicht haben Sie nur gerade jemandes Gartenarbeitspläne durchkreuzt.

Ausgesprochen Unausgesprochenes aussprechen

Kommunikation ist etwas, das in vielen Lebensbereichen ein Thema ist. Mal ist es falsche oder fehlende Kommunikation zwischen Arbeitskollegen oder gar ganzen Firmenbereichen, mal sind es Ehepaare, die nicht richtig miteinander kommunizieren können. Es gibt viele Probleme, die mit richtiger Kommunikation reduziert werden könnten. Und doch tun wir uns schwer damit.

Kommunikation in einer Ehe zwischen neurotypischen Menschen und Menschen mit ASS sind vermutlich noch einen Zacken komplizierter. Wie immer sei hier festgehalten, dass nicht alle Betroffenen dieselben Erfahrungen machen. Und: Probleme mit der Kommunikation kann es in Ehen jeglicher Couleur geben. Ich kann nur weitergeben, was ich aus meiner Erfahrung dazu schreiben kann.

Ich bin ein Denkertyp. Was sich in meinem Kopf abspielt, könnte ich gar nicht alles wiedergeben, ohne mir den Mund in Fransen zu reden. Manchmal gehe ich das Risiko aber ein. So ergeben sich immer wieder Situationen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Entweder ich spreche plötzlich gar nicht mehr oder ich verliere mich in einem Monolog. Das macht die Kommunikation mitunter schwierig. Verständlicherweise.

Es kommt öfters vor, wenn meine Frau und ich gerade streiten, dass mir plötzlich ein bestimmter Gedanke kommt. Konkret: Ich frage mich, mitten im Streit, ob es sich eigentlich lohnt über das Streitthema zu streiten. Ich mache gedanklich einen Schritt zurück und schaue mir das Geschehen wie von aussen an. Dann kommt mir der Streit lächerlich vor und ich besinne mich darauf, dass ich eigentlich nicht streiten mag. Urplötzlich ist die «Streitmotivation» weg und die Sache ist für mich für vorbei. Für meine Frau ist das Thema aber noch nicht durch und sie läuft sich erst recht warm, wenn sie merkt, dass ich mich zurückgezogen habe. Dann wird es anspruchsvoll. Nicht, weil ich einen Streit einfach abgebrochen habe, sondern weil wir plötzlich emotional in zwei ganz verschiedenen Ecken stehen. Es kann dann schnell mal so wirken, als würde ich das Thema nicht ernstnehmen. Denn ich habe die Sache für mich abgewogen, für mich entschieden, wie ich es handhaben will und es für mich abgehakt. Für meine Frau ein abruptes Ende.

Beinahe alles, was ich machen will oder muss, gehe ich erst einmal gedanklich durch und mache mir Pläne mit verschiedenen Szenarien. So halte ich es oft auch mit Gesprächen. Ich überlege mir, was ich sagen möchte, mache mir Gedanken über mögliche Antworten und gehe verschiedene Varianten durch, wie ich dann auf Reaktionen eingehen soll. So ist es sehr gut möglich, dass ich neben meiner Frau sitze und mit ihr in Gedanken einen Dialog führe. Da gibt es dann Aussagen, Fragen, Antworten, Reaktionen usw. In meinem Kopf finden so die verschiedensten Gespräche statt. Oftmals bin ich jeweils so in diese «Gespräche» vertieft, dass ich gar nicht merke, dass ich schon länger nichts mehr gesagt habe. Ich habe mir beispielsweise überlegt, wie meine Frau auf etwas reagieren könnte, habe sie aber nicht einmal danach gefragt.

Ich weiss nicht, wie das bei anderen Betroffenen Asperger ist. Bei mir ist es es schon so: Je müder oder gestresster ich bin, desto weniger kann ich mich anpassen und ziehe mich in mich selbst zurück. Meine Frau sagt in solchen Situationen, dass ich nur noch körperlich anwesend bin. Bin ich fit, entspannt, gelassen, fällt es mir leichter reale Gespräche zu führen, was dann aber eben zuweilen zu oben erwähnten Monologen führen kann.

Kommunikation ist entscheidend wichtig. So versuche ich immer wieder neu, mich in einem gesunden Masse mitzuteilen und Unausgesprochenes auszusprechen.