Angenehm anders

Vor einiger Zeit wurde uns in der Firma angeboten, einen Persönlichkeitstest durchführen zu lassen. Dies einerseits, um ein konkreteres Bild von sich zu erhalten und andererseits, um z.B. innere Spannungsfelder erkennen zu können. Ich war im Vorfeld schon mal skeptisch, hatte ich doch selbst schon unzählig viele solcher Test gemacht und im Rahmen meiner ASS-Abklärung* schon ziemlich viel über mich erfahren (jaja, ich weiss, ein wenig war es auch, weil ich nicht genau wusste, was da auf mich zukommt😊) . Vermutlich als letzter Mitarbeiter, habe ich mich dann doch noch durchgerungen, den Test machen zu lassen. Wie schon oft habe ich eine Vielzahl Fragen beantwortet. Jede Frage musste auf einer Skala von «trifft zu» bis «trifft überhaupt nicht zu» bewertet werden. Zudem musste man jede Bewertung mit «stört mich» bis «stört mich überhaupt nicht» beurteilen. Die zweite Beurteilung zeigt dann das innere Spannungsfeld auf. Stört mich zum Beispiel, dass ich nicht mit meinen Kollegen sprechen kann, weil mein Pflichtgefühl mich zwingt, eine Aufgabe erst fertigzustellen, ergibt sich eine Spannung zwischen einer konsequenten und einer freundlichen Seite. Wenn dann noch das Bedürfnis nach möglichst wenig Stress ein Störfaktor für die geschäftige Seite ist, ist das Spannungsfeld gespannt zwischen Konsequenz, Freundlichkeit, Geschäftigkeit und Gemütlichkeit. Soweit die Theorie.

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Bei mir sieht das allerdings anders aus, als es vielleicht «normal» ist. Ich bin absolut konsequent, bin ausgeglichen gemütlich und geschäftig und – man staune – überhaupt nicht freundlich. Wie das? Bin ich ein unfreundlicher Mensch? Davon gehe ich jetzt nicht aus. Ich kann sehr wohl freundlich sein. Weiter fällt auf, dass ich kein inneres Spannungsfeld habe. Bei mir ist das Spannungsfeld eine Spannungslinie. Zwischen «gemütlich» und «geschäftig» besteht eine Spannung, zwischen «konsequent» und «freundlich» allerdings gar nicht. Was heisst das jetzt?

Da ich bemüht bin, Stress möglichst zu vermeiden, ergibt sich daraus ein Konflikt mit meiner geschäftigen Seite. Denn würde ich mich jedes Mal blockieren lassen, wenn dann doch Stress entsteht, wäre ich nicht sehr effizient. Ich habe also verschiedene Mechanismen entwickelt, die mir helfen, solche Blockaden möglichst schnell zu durchbrechen. Ein solcher Mechanismus ist es zum Beispiel, wenn ich merke, dass ich gestresst bin und sich eine Blockade ankündigt, dass ich bewusst einen Schritt zurück mache. In dieser «Vogelperspektive» versuche ich das komplette Ganze zu betrachten und gehe für mich nochmals meine Pendenzenliste durch. Diese Liste ordne ich dann nochmals nach Prioritäten, was mir hilft, den Überblick und vor allen Dingen, die Ruhe zu bewahren.

Zwischen Konsequenz und Freundlichkeit hat sich keine Spannung abgezeichnet. Ich gehe mal stark davon aus, dass dies darauf zu führen ist, dass ich überall «stört mich nicht» angekreuzt habe. Da ich ein sachbezogener statt personenbezogener Mensch bin, stört es mich nicht, wenn alle Kaffee trinken, während ich eine Aufgabe beende. Bin ich in meine Arbeit vertieft, kann es vorkommen, dass ich einen halben Tag nichts zu einer anderen Person sage, die sich im selben Raum befindet. Ich habe einfach nicht das Bedürfnis mich zu unterhalten. Da aber keine Regel ohne Ausnahme ist, gibt es diese auch hier. Wird nämlich ein Thema angesprochen, wozu ich selbst eine Menge sagen kann, bin ich voll dabei. Ich will dann mein Wissen aber auch kundtun und «überrenne» damit auch schon mal jemanden, der eigentlich seine Geschichte erzählen wollte.

Ich persönlich empfinde meine konsequente, pflichtbewusste Art gesamtheitlich gesehen als ein Vorteil. Ich kann mich konzentriert und voll fokussiert hinter eine Aufgabe setzen und lasse mich durch nichts ablenken. Und da ich mich auch nicht darum kümmere, wie das bei anderen ankommt, habe ich einen weiteren Vorteil. Wie oft habe ich schon erlebt, dass jemand gehemmt oder gar blockiert war, weil er sich Sorgen gemacht hat, wie irgendwas bei den Anderen ankommt?! Ich kenne das eigentlich nicht. Denn wenn doch, dann nur, weil ich gelernt habe, dass ich mich in Situationen, in denen es darauf ankommt, dann eben doch anpassen muss.

Die Spannungslinie anstelle eines Spannungsfeldes stört mich also überhaupt nicht. Für mich ist in dieser Situation mein Anderssein angenehm.

* ASS: Autismus-Spektrums-Störung

Hörverstehen heisst Hören UND Verstehen!

Setzen wir voraus, dass Asperger-Autist nicht gleich Asperger-Autist ist. Somit gehe ich auch davon aus, dass nicht alle Asperger-Autisten davon betroffen sind, wovon ich heute schreibe. Immer wieder finde ich mich in solchen Situationen wieder. Und ich muss zugeben, die Situationen sind häufiger geworden. Ich weiss nicht genau, woran das liegt. Eventuell ist es die grössere Belastung – ich bin mehrfacher Vater -, die Stresssituationen in Job und Alltag, oder wo auch immer der Hund sonst begraben liegt.

Dass ich Mühe habe, mein Gegenüber zu verstehen, wenn andere Gespräche oder Geräusche mich ablenken, davon habe ich schon hier geschrieben. Das kennen die anderen Betroffenen auch, weil wir ja alles gleich laut hören und unnötige Geräusche nicht ausblenden können. Bei mir geht es aber noch etwas weiter. Es kann sogar vorkommen, dass ich mein Gegenüber nicht verstehe, auch wenn keine anderen Geräusche mich ablenken. Keine anderen Gespräche, keine laute Kaffeemaschine, nichts. Und trotzdem habe ich akustisch zwar verstanden, was mir gesagt wurde, die Worte geben aber in meinem Kopf keinen Sinn. Es kommt mir so vor, als hätte mein Verstand nicht auf Empfang gestellt. Die Worte dringen in meine Ohren ein und springen dann wie verrückt in meinem Kopf herum.

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In Sekundenschnelle muss ich die Mosaiksteinchen richtig ordnen und so zusammensetzen, dass sie einen Sinn ergeben. Im besten Fall frage ich nochmals nach, aber wenn ich das Bild immer noch nicht zusammensetzen kann, interpretiere ich meistens aus den Satzteilen, die ich einigermassen logisch zusammenfügen konnte. Ich habe unterdessen eine Sammlung an Ausweichmöglichkeiten, die mich aus solchen Gesprächssackgassen wieder hinausbugsieren können. Das ist ziemlich anstrengend. Vor allem, wenn sich schliesslich herausstellt, dass ich nicht mal diese paar Satzteile richtig kombiniert und interpretiert habe. Dann stehe ich da und habe keinen Plan, was mir gerade gesagt wurde.

Wer das nicht kennt, kann sich das fast nicht vorstellen und die meisten Leute gehen einfach davon aus, dass man halt nicht gut hört/zuhört. Das ist es aber nicht, man kann es sich auch so vorstellen, als würde jemand einen in einer fremden Sprache ansprechen.

Mich würde interessieren, ob es noch mehr Menschen gibt, die das kennen, ob das auch nicht vom Asperger-Autismus betroffene Personen so kennen. Und dann interessiert mich natürlich, wie andere solche Situationen meistern, wenn sie dasselbe erleben.

Was sich in einem Hörtest mal gezeigt hat, erlebe ich immer wieder: Wichtig ist nicht nur das Hören, sondern auch das Verstehen.

Wie schwer ist eigentlich Lärm?

Immer wieder – und das eigentlich sehr oft – kommt es vor, dass es mir zu laut wird. Dazu muss ich mich nicht in einem überfüllten Pub oder auf einem Markt befinden, es reicht schon ein Raum mit zwei oder drei Personen. Gut, seien wir ehrlich, manchmal kann auch eine Person schon zu laut sein. Aber das lasse ich jetzt einfach so stehen. Stellen Sie sich nun aber folgende Situation vor: Sie versuchen konzentriert zu arbeiten und hören dabei zwei andere Personen sprechen, eine weitere Person telefonieren, das Tippen auf einer Tastatur, den Autolärm durchs Fenster, das Spülen des Geschirrspülers und/oder der Kaffeemaschine, den Kollegen beim beherzten Biss in den saftigen Apfel, das ungebremste Schliessen einer Türe usw. Haben Sie die Situation vor Augen? Gut, und jetzt stellen Sie sich alles zusammen gleichzeitig und gleich laut vor. So erlebe ich solche Situationen. Ich habe keinen Filter für unnötige Geräusche. Erschwerend kommt dazu, dass ich eben alles gleich laut höre. Egal ob zwei Meter von mir entfernt jemand in einen Apfel beisst oder im gleichen Raum jemand telefoniert. Es ist beides direkt in meinem Kopf. Kommen dann weitere Geräusche hinzu, bedrängt mich der Lärm so stark, dass ich mitunter Platzangst kriege und es mir beinahe die Luft abschnürt. In solchen Situationen hilft mir nur, Distanz zum Lärm zu schaffen. Wenn ich mich nicht in einen ruhigen Raum zurückziehen kann, hilft nur der Gang zur Toilette. Dort ist es still.

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Bei einem Hörtest habe ich mal sehr schlecht abgeschnitten, weil ich nicht unterscheiden konnte, auf welcher Seite der Piepston wann zu piepsen begonnen hat. Ich konnte mich nämlich nicht auf den Piepston konzentrieren, weil mich das Rauschen meines Blutes irritiert hat. Ich musste einen weiteren, genaueren Hörtest machen lassen. Dafür bin ich in einem kleinen, schalldichten Raum gesessen (toll übrigens, sowas bräuchte man auch für Zuhause, mehr dazu aber in einem späteren Beitrag) und der Ohrenarzt hat von draussen mit einem Regler ein Ton in verschiedenen Tonlagen eingespielt. Bei diesem Test habe ich prima abgeschlossen. Danach wollte er testen, ab wann ich gesprochenen Text verstehe. Ich musste dann wiederholen, was er gesagt hatte. Und siehe da, auch hier habe ich problemlos bestanden. Fazit der Tests: Ich höre zwar gut, kann mich aber bei verschiedenen Geräuschen nicht auf ein bestimmtes Geräusch konzentrieren. Später, nach der mit Diagnose, gingen mir diesbezüglich Kronleuchter auf. Will ich in bestimmten Situationen mein Gegenüber verstehen, hilft nur noch Lippenlesen oder teilweise auch Interpretation (um nicht zu sagen erraten), wenn daneben z.B. jemand auch nur eine Frucht isst.

Wir können berechnen, mit welcher Kraft eine Kiste auf den Boden drückt. Aber können wir auch messen, wie schwer Lärm ist?