Smalltalk? Darf ich Ihnen das Tschüss anbieten?

«Hallo, schönes Wetter heute.» «Ja, schön, dass die Sonne heute wieder rauskommt.» – «Na, hast du den FC gesehen gestern? Die haben ja echt klasse gespielt.» «Ja, nur Vainazas hat wieder etwas übertrieben.» Solche und ähnliche Gespräche finden tagtäglich immer wieder statt. Die Rede ist vom Smalltalk. Der Smalltalk überbrückt immer wieder sogenannte peinliche Situationen. Er findet im Aufzug statt, beim Essen holen, zur Begrüssung, beim Warten auf einen Termin usw. Viele Menschen, um nicht zu sagen die meisten Menschen, können mit Ruhe gar nicht mehr umgehen. Was heute fast keiner mehr weiss: Es muss nicht immer gesprochen werden, man kann auch mal einfach still nebeneinander hergehen. Die Gesellschaft lehrt uns jedoch etwas anderes. Smalltalk wird sogar als wichtig angesehen, gerade auch im beruflichen Umfeld.

Ich bin da eher nicht so begabt. Entweder interessieren mich die Smalltalk-Themen nicht oder ich weiss schon gar nicht, welches Thema ich anschneiden soll. Der Sinn eines Gespräches, das beide Gesprächspartner eigentlich nicht wirklich interessiert, erschliesst sich mir nicht. Wieso ein Gespräch führen, dass uns die Situation aufgezwungen hat? Zudem werden in solchen Situationen häufig Fragen gestellt, die absolut keinen Sinn ergeben. Eine Frage z.B. wird immer wieder gestellt: «Ah, du bist auch hier?» Solche sinnfreien Fragen verdienen eigentlich keine ernsthafte Beantwortung. Ich würde am liebsten antworten: «Nein, ich hab’s leider nicht geschafft. Was du hier vor dir siehst ist nur ein Hologramm, dass ich projiziere, um den Anschein zu erwecken, dass ich auch hier bin.» Dasselbe zu Terminen an bis dahin noch nicht bekannten Orten: «Ah, haben Sie’s gefunden?» – «Nein, ich bin noch auf der Suche. Dass Sie mich hier vor sich sehen, ist nur eine Illusion, die Ihnen Ihre Wunschvorstellung als scheinbare Wahrnehmung vorgaukelt.»

576529732170

Verwickelt in einen Smalltalk, fällt es mir – infolge mangelndem Interesse – oftmals schwer die Aufmerksamkeit aufrechtzuhalten. Sticht mir etwas ins Auge oder kommt mir etwas in den Sinn, kann es vorkommen, dass ich mich in der Situation ausklinke und in Gedanken verliere. Dabei bin ich mir nicht einmal mehr bewusst, dass jemand versucht hat, mit mir zu sprechen. Das Interesse am Thema ist wohl der Hauptgrund, weswegen ich mich nicht für Smalltalk erwärmen kann. Ich habe kein Interesse an oberflächlichen Themen. Interessiert mich jedoch das Thema, kann ich mich auch nicht auf Smalltalk einlassen. Ich will dann zu sehr in die Tiefe, weiss zu viel, sage zu viel, höre zu wenig zu.

Schwierig ist es auch, wenn ich mich gerade mit einem uninteressanten Smalltalk abmühe und dann jemand in meinem Blickfeld auftaucht, mit dem ich viel interessantere Themen wüsste, vielleicht sogar gemeinsame Interessen mit ihm pflege. Dann werde ich nervös und will das uninteressante Gespräch möglichst zeitnah hinter mich bringen.

Wie oben beschrieben, kommen mir in Smalltalk-Situationen oft keine Themen in den Sinn. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als mich auf Smalltalk vorzubereiten. Ich versuche herauszufinden, welche Themen mögliche Smalltalk-Partner interessieren und lese mich ein wenig (oder auch etwas mehr) ins Thema ein. Für Fussballbegeisterte habe ich eine Fussball-App, für Eishockey eine Eishockey-App usw. Es versteht sich von selbst, dass das nur bei Personen funktioniert, von denen ich die Interessen kenne.

Smalltalk? Darf ich Ihnen das Tschüss anbieten? Ja, mittlerweile gehe ich relativ locker damit um. Und bis zum nächsten Smalltalk gehe ich nochmals auf Internetrecherche.

Mein lieber Herr Gesangsverein, seien Sie mal nicht so negativ!

Gewillt die Unterschiede zwischen Aspies und neurotypischen Menschen aufzuzählen, verfallen die Aufzählenden auffallend häufig ins immer gleiche Schema: Negation statt Affirmation. Infolgedessen sind die Zuhörer – verständlicherweise – versucht, den Asperger als Störung, als Behinderung aufzufassen. Das sei Ferne! Natürlich behindert mich mein Asperger in meinem Leben, aber das tun langsam gehende Menschen auf dem Bahnsteig auch.

Ich will ja gar nicht schönreden oder verniedlichen, dass ich in meinem Alltag immer wieder mit Situationen zu kämpfen habe. Wie schnell führen schon Kleinigkeiten zu einem Overload. Ohne Rückzugsmöglichkeiten ist der Meltdown oder gar der Shutdown schon vorprogrammiert. Aber was will ich mich von solchen Situationen runterziehen lassen?! An Tagen, an denen ich schon unsicher, hypersensibel und dünnhäutig in den Tag starte, habe ich dem Kampf meistens schon beinahe verloren. Wieso dann noch negativ sein? Da ich mich nicht verbiegen kann, muss ich versuchen, mit dem klarzukommen, was ich bin.

575925678219

Es ist doch so: Ich bin, wer ich bin. Als Aspie verbringe ich sehr viel Zeit damit, mich anzupassen. Seit meiner Diagnose habe ich mich immer besser kennengelernt. Ich weiss heute besser, worauf ich wie reagiere. Ich erkenne viele Situationen schon bevor sie eintreffen und halte dann dagegen. Ich ziehe meine Sonnenbrille an, bevor mir die Sonne fast die Netzhaut abbrennt. Ich setze meine Kopfhörer auf bevor mir die vielen Stimmen um mich herum den Schädel platzen lassen. Grossen Menschenansammlungen gehe ich wenn immer möglich aus dem Weg. Es ist mir egal, wenn auffällt, dass ich anders bin. Menschen reden übereinander, das kann man nicht beeinflussen. Es sei hier festgehalten: Man kann es sowieso nie allen recht machen.

Heute bin ich eigentlich auch stolz darauf, zur Familie der Aspies zu gehören. Wir haben Schwächen, das haben neurotypische Menschen aber auch. Wir haben jedoch auch Stärken, wir können uns zum Beispiel optimal auf bestimmte Dinge fokussieren. In Themen, die uns interessieren, verbeissen wir uns richtiggehend. Wer einen Aspie richtig kennenlernt, lernt bald auch die positiven Seiten des Aspergers hinter den Kulissen kennen. Heute ist Welt-Autismustag. Wenn du noch nicht viel über Asperger oder Autismus allgemein weisst, nutze doch die Gelegenheit und lerne uns besser kennen. Mache doch auch einen Schritt auf uns zu.

Mein lieber Herr Gesangsverein, seien Sie mal nicht so negativ! Asperger sind nicht behindert und nicht gestört, wir sind einfach nur anders.