(un-)angenehm anders

Ich funktioniere anders. Das habe ich schon bald einmal gemerkt. Schon als Teenager habe ich mir überlegt, dass es sinnvoll wäre, mich psychologisch abklären zu lassen. Es war nichts bestimmtes in meinem Hinterkopf, kein Verdacht, was mit mir anders ist. Ich merkte einfach, mein Gehirn arbeitet (un)angenehm anders.

Schon immer mochte ich mir bekannte Strukturen, Ordnungen, Muster. Hingegen war mir alles mir Unbekannte oder mir noch nicht Bekannte suspekt. Bevor ich mich einigermassen ruhig auf Neuland wagen konnte, musste ich erst unzählige Informationen einholen. Gab es im Vorfeld keine abrufbaren Informationen, machte sich ein nervöses, Bauchschmerzen auslösendes Gefühl breit.

Strukturen, Ordnungen und Muster haben mich immer fasziniert und oft schon fast zwanghaft in Schemata gedrängt. Als ich einmal als 13jähriger in meinem Aushilfsjob von meiner Chefin gerügt wurde, ich würde falsche Arbeitszeiten einschreiben und sie so um Geld – wenn auch wenig – betrügen, fiel ich aus allen Wolken. Ich war so darauf fixiert, regelmässig, immer dieselben Zeiten einschreiben zu wollen – notabene ohne immer zu den angegebenen Zeiten anwesend zu sein -, dass ich gar nicht bemerkte, dass ich so mehr Arbeitszeit aufschreiben und mehr Lohn verlangen würde als effektiv verdient. Auf Betrug wäre ich nie gekommen und das war ganz bestimmt auch nicht meine Absicht.

Immer wieder bin ich in unangenehme Situationen gestolpert. Meistens war ich dann so in Gedanken versunken, dass ich komplett ausgeschaltet habe, was um mich herum passiert. Und das auch nur, weil in solchen Situationen zu viel auf mich einprasselte. Lärm, Hitze, das Blenden der Sonne, Gerüche, das alles wurde mir oft, nebst meinen Gedankengängen, einfach zu viel. Dazu kommt noch, dass ich mir in Gedanken öfters selber ins Wort falle und praktisch permanent Musik in meinem Kopf spielt.

Im Frühling 2015 hat meine Schwiegermutter eine Sendung in einem Lokalsender gesehen und berichtete meiner Frau, dass eine Ehefrau in der Talk-Sendung ihren Mann so beschrieb, wie auch ich immer wieder mal auf andere Menschen wirke. Meine Frau schaute sich die Sendung ebenfalls an und leitete mir den Link zur Sendung weiter. Am nächsten Morgen, noch vor der Arbeit, sah auch ich mir den Talk an. Er dauerte nur ungefähr 20 Minuten. Mich traf beinahe der Schlag: Die Frau beschrieb Empfindungen und Auffassungen von ihrem Mann, die ich ganz genau kannte. Nur hatte ich bisher angenommen, dass ich der einzige bin, der so denkt und so empfindet. Es traf mich vollkommen unvorbereitet: Es gibt noch andere da draussen, die auch so sind wie ich. Mir liefen während der Autofahrt ins Büro die Tränen übers Gesicht (und das passiert mir so gut wie nie). Ich konnte meinen Gefühlsausbruch zwar nicht einordnen, aber irgendwie fühlte es sich gut an. Und so lernte ich es kennen: das Asperger-Syndrom.

Unzählige Webseiten, Filme, verschiedenste Bücher begann ich nun zu verschlingen. Ich konnte nicht genug kriegen von Menschen, die erzählten, wie auch ich die Welt wahrnehme, Empfindungen haben, die ich teilweise 1:1 auch so habe. Natürlich hatte ich bald verschiedene Tests auf einschlägigen Webseiten gemacht. Immer war das Resultat dasselbe: Ich bin Asperger-Autist. Es versteht sich von selbst, dass ich mich nicht allein auf solche Webseiten-Gratis-Tests verlassen konnte. Ich wollte es genau wissen. Also erkundigte ich mich, wo in der Nähe seriöse Abklärung möglich ist. Ich bekam einen ersten Termin in einer psychiatrisch-psychologischen Praxis und wurde dann für weitere Abklärungstermine einer Psychologin zugeteilt. Nach ein paar Monaten mit regelmässigen Terminen bei der Psychologin, erhielt ich die glasklare Diagnose: Asperger-Autismus.

Nun hat das Kind also einen Namen. Seither habe ich besser zu verstehen gelernt, wie ich funktioniere, kann besser reflektieren. Dies soll der Startschuss eines Blogs sein, in dem ich meine Erlebnisse und meine Eindrücke mitteile und erkläre. Dieser Blog dient dem besseren Verständnis von uns Asperger-Autisten. Ziel ist es aber auch, unbewusst Betroffenen Mut zu machen, sich zu informieren. Wir sind nicht abnormal, für uns ist die Welt nur (un-)angenehm anders*!

* Kleine Randbemerkung: Im nächsten Eintrag erkläre ich, wie ich auf diesen Blogtitel gekommen bin.

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