Wenn der Admiral gen Süden fliegt, kommt er immer wieder zurück

Ich habe vor vielleicht 14 Jahren ein sehr populäres Buch gelesen. In diesem Buch geht es im Wesentlichen darum, dass wir erkennen können, in welcher Sprache unser Partner oder Partnerin Liebe versteht und sich geliebt fühlt. Ein Beispiel: Ist die Liebessprache deiner Partnerin Zweisamkeit, freut sie sich vielleicht, dass du einmal die Woche einen Blumenstrauss nach Hause bringst. Geliebt fühlt sie sich aber vielleicht vor allem, wenn du z.B.  am Abend Smartphone und Konsorten beiseitelegst und dich – deine volle Aufmerksamkeit auf deine Partnerin gerichtet – mit ihr auf dem Sofa unterhältst. Zweisamkeitsgeliebtfühler wollen Zeit mit dir verbringen. Ist die Liebessprache deines Partners Hilfsbereitschaft, nützt es nicht viel, wenn du deinen Partner lobst, wie toll er seine Arbeit macht. Vor allem, wenn du dabei einfach danebenstehst und deinem Partner zusiehst, wie er in Arbeit versinkt. Hilfsbereitschaftsgeliebtfühler fühlen sich geliebt, wenn du mitanpackst, statt nur tolle Tipps zu geben.

Schon oft habe ich mich über dieses Buch unterhalten. Die Meisten finden diese Idee im Mindesten im Ansatz gut, einige empfinden genauso wie im Buch beschrieben und fühlen sich vom Autor des Buches abgeholt. Gedanklich befasse ich mich nun schon seit beinahe ebendiesen 14 Jahren, seit ich das Buch gelesen habe, immer wieder damit. Etwas hat mich immer gestört, ich konnte nur noch nicht isolieren und definieren, was es genau war.

Viele Asperger-Autisten – und ich werfe hier ganz bewusst nicht alle in einen Topf – haben eine konfuse Beziehung zur Liebe. Ich selbst habe mir im Teenageralter mal bewusst Gedanken über meine Beziehung zur Liebe gemacht. Auslöser dazu war ein Todesfall, der bei mir nicht das ausgelöst hat, was ich erwartet hatte. Ich konnte nicht genau definieren, ob und wie ich dabei empfand. Ich deutete dies damals als Gefühlsvakuum. Ich schloss daraus, dass ich in mir keine Trauer ausfindig machen konnte, dass es sich dann mit anderen Gefühlen genauso verhalten müsse. Zum Beispiel habe ich bis heute noch Mühe, Freude an einem Geschenk zu zeigen. Ich verhalte mich ziemlich gefühlsneutral und sage das Falsche oder das Richtige falsch. Wichtig ist dann erst das, was ich als Textnachricht nachschicke oder zu einem späteren Zeitpunkt (nach Sortieren und Einordnen meiner Gefühle) dazu sage. Diese Überlegungen im Teenageralter sind nun schon über 20 Jahre her, aber ich weiss noch genau, wie ich mir damals überlegt habe, ob ich mich vielleicht psychologisch abklären lassen sollte. Ich hatte Angst, neben Trauer auch niemals Liebe empfinden zu können.

Heute bin ich eines Besseren belehrt worden. Nun weiss ich, dass Schwierigkeiten, Gefühle definieren zu können, nicht deren Nichtvorhandensein bedeuten. Notabene wird man auch älter, sammelt Lebenserfahrung und lernt sich und seine Gefühle besser kennen. Man tut Asperger-Autisten Unrecht, wenn man sie als gefühlskalt oder gar gefühlstot bezeichnet. Es ist schwierig Gefühle zu zeigen oder darüber zu sprechen, wenn man gerade nicht genau weiss, wie man empfindet.

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Die im Buch erwähnten Liebessprachen sollen Liebespaaren helfen, einander ihre Liebe so zu zeigen, dass es der andere versteht. Dass man seinen Partner oder seine Partnerin so kennen sollte, dass man weiss, was es braucht, damit er oder sie sich geliebt fühlt, finde ich richtig und das könnte ich so direkt unterschreiben. Meiner Meinung nach, ist das aber nur eine Seite. Das Buch setzt seinen Fokus darauf, dass ich die Liebessprache meines Partners sprechen kann. Höchstwahrscheinlich ist diese Liebessprache innerhalb der meisten Partnerschaften nicht immer dieselbe, sodass man eine «Fremdliebessprache» lernen sollte.

Um das Beispiel der Fremdsprache aufzunehmen: Wenn ein Engländer eine Französin liebt, sollte der Engländer – nach der Meinung des Autors – lernen «je t’aime» sagen zu können. Die Französin hingegen lernt «I love you» zu sagen. Ich bin lange Zeit der Meinung gewesen, dass «Ich liebe dich» in einer anderen Sprache nie dasselbe ist, wie wenn ich es in meiner eigenen, von klein auf gelernten Sprache sagen kann. Denn diese Sprache geht mir gut und schnell von den Lippen, ich spreche sie intuitiv und spontan. Eine Fremdsprache muss ich gezielt einsetzen, ich muss mir überlegen, wann welche Worte in welche Situationen passen. Diese Sprache ist mir nie so nahe, wie meine eigene Sprache, auch wenn ich sie nach einer gewissen Zeit fliessend sprechen kann. Zudem sind Fremdsprachen immer aufgesetzt und entsprechen nicht dem, was man eigentlich sagen würde.

An diesem Punkt habe ich mich gestossen. Ich habe mir also überlegt, dass es doch sinnvoller wäre, die Fremdsprache des anderen zu lernen, um sie verstehen zu können. Jeder könnte in seiner Liebessprache sprechen und der Partner oder die Partnerin wüsste sich – dank seinen Fremdliebessprachenkenntnissen – geliebt. Soweit, so gut.

Katherine Hepburn hat einmal gesagt: «Liebe ist nicht das, was man erwartet zu bekommen, sondern das, was man bereit ist zu geben.» Recht hat sie. Eine andere Liebessprache zu sprechen heisst: Ich interessiere mich für dich. Ich nehme deine Bedürfnisse ernst und versuche immer besser darauf einzugehen.

Will ich hingegen, dass mein Partner/meine Partnerin meine Liebessprache verstehen lernt, damit ich mich nicht verändern und schon gar nicht anpassen muss, spricht allein schon das nicht unbedingt für die Liebe. Für die Liebe verdreht man sich auch mal, im positiven Sinn gemeint.

Die Liebessprache des anderen verstehen zu wollen, kann jedoch genauso heissen, dass man sich für den anderen interessiert. Aus Liebe will man die Sprache des anderen verstehen können. Wenn die Französin versteht, was der Engländer mit «I love you» sagt und die Französin weiss, was der Engländer mit «Je t’aime» meint, gewinnen meiner Meinung nach beide dazu.

Ich bin für mich zum Schluss gekommen, dass die Kombination wohl die interessanteste Lösung ist. Beide gehen aufeinander ein, beide sind zweisprachig und können beide Sprachen sowohl sprechen, wie auch verstehen. So können wir schätzen, dass der Partner oder die Partnerin sich bemüht die Sprache des anderen zu sprechen und verstehen den Partner trotzdem, wenn er seine Liebe mal in seiner Liebessprache ausspricht. Plötzlich hat man vielmehr Möglichkeiten sich gegenseitig die Liebe zu zeigen.

Der Asperger-Autist und die Liebe! Mittlerweile bin ich nun seit über 15 Jahren mit meiner Frau fürs Leben verheiratet. Wie kommt es, dass ich etwas mehr als 5 Jahre zuvor noch nicht wusste, ob ich jemals lieben kann? Und dann heirate ich, binde mich fürs Leben an eine Frau und gründe mit ihr eine Familie. Die Antwort ist so simpel wie kitschig: Weil es die richtige Frau ist. Ich wusste es damals einfach. Es war mir schlicht klar, dass ich die Frau fürs Leben gefunden hatte. Mit ihr wollte ich eine Familie gründen und mit ihr will ich alt werden. Und in der Lebensachterbahn mit allen Tiefs und Hochs steht eines fest: Es wird nie einen Zweifel geben, sie ist es.

Als Asperger-Autist kann ich viel besser über Entscheide, Vernunft und Verstand sprechen. Für mich ist Liebe mehr als nur ein Gefühl. Bei der Liebe geht es auch viel mehr um einen Entscheid. Natürlich wünscht man sich immer wieder mal auch die Schmetterlinge der Anfangszeit zurück. Das spricht natürlich die Gefühlswelt an, also der für mich etwas schwierigere Teil meines Innenlebens. Es ist nun an mir, dazuzulernen, mich noch mehr mit der Liebessprache meiner Frau auseinanderzusetzen. Aus Liebe, aus Wertschätzung und Anerkennung. Und es sei darauf hingewiesen: Liebessprachen können sich im Verlauf des Lebens ändern. Das heisst also dranbleiben. Es mag manchmal den Eindruck machen, die Schmetterlinge der Anfangszeit wären gerade nicht da. Und manchmal sind sie es vielleicht wirklich gerade nicht, weil Alltags- und Arbeitsstress bedrücken. Aber keine Angst wegen der Schmetterlinge, Schatz:

Es sind Admiral, die sind ziemlich sicher nur gerade gen Süden geflogen. Die kommen immer wieder zurück!

2 Gedanken zu “Wenn der Admiral gen Süden fliegt, kommt er immer wieder zurück

  1. der admiral ist ein sehr schönes „bild“ auf dem gedankenflug, wo mich der admiral im titel anfangs noch als typ mensch irritierte, umso schöner die auflösung am ende des liebessprache lernens, wo der admiral zur metapher wird – sehr plausibel, er verschwindet nur eine weile und kommt immer wieder …

    danke
    dietmar

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