Schau mir in die Augen, Kleiner!

Autisten wird nachgesagt, dass sie Menschen nicht in die Augen sehen können. Das stimmt so nicht unbedingt abschliessend. Als Kind wurde mir sehr oft gesagt, dass ich mein Gegenüber anschauen soll. Also habe ich später gelernt, den Menschen so ins Gesicht zu blicken, dass es aussieht, also würde ich ihnen direkt in die Augen sehen. Interessanterweise fällt es mir bei einigen Menschen leichter, direkt in die Augen zu schauen, bei anderen eher nicht. Ich kann nicht mal sagen, was die Kriterien sind, um in die eine oder die andere Gruppe zu gehören. Da steckt keine Logik dahinter. Jedenfalls nicht eine, die sich mir bereits erschlossen hätte.

Meine Verfassung spielt hier eine grosse Rolle. Es gibt Zeiten, da kann ich nicht mal meinem Spiegelbild in die Augen sehen! Schwierig ist es auch morgens, wenn ich unterwegs zur Arbeit bin. Da will ich niemanden anschauen müssen. Ich nehme dann bewusst nur Beine und verschwommene Gestalten wahr. So kann es natürlich vorkommen, dass ich wortlos an jemandem vorbeiziehe, den ich eigentlich hätte kennen müssen. Es steckt keine böse Absicht dahinter. Gesichter ansehen kostet mich enorm viel Energie.

Wenn ich in einer Veranstaltung einen Stuhl aussuchen muss, wähle ich möglichst in der hintersten Reihe aus, mit Vorliebe in einer Ecke. «Das macht doch jeder so», werden einige sagen. Ich mache es vermutlich aber aus einem anderen Grund. Ich behalte gerne die Übersicht, was in einem Raum vor sich geht. Dazu muss ich mich natürlich umsehen. Würde ich das aber in einer der vorderen Reihen tun, müsste ich ja auch nach hinten schauen und würde so in zig Augenpaare blicken. Hinterköpfe sind einfacher als Augenpaare. Das ist der Grund, warum ich lieber hinten sitze.

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